06.01.2018
Kunstkurs im Atelier der Behindertenhilfe Bergstraße in Bensheim-Auerbach: Acht Erwachsene bemalen Stühle mit Acrylfarben. Eine der Malenden ist Elke Schaffner (53). Auf die Sitzfläche eines alten Holzstuhls pinselt sie ein rotes Herz. „Ein Hoch aufs Leben“ steht in dunkler Schrift mitten im Herzen.
Schaffner ist dem Tod von der Schippe gesprungen. Jetzt verarbeitet sie die Angst vor dem Sterben und die Freude aufs Leben in ihrem Werk. Der kreativen Arbeit gehen jedoch Gesprächsrunden mit den anderen Kursteilnehmern voraus. Es ist wie bei einer Gruppentherapie. Jeder spricht über das, was ihn belastet: Tod, verlorene Liebe oder manchmal schlicht Ärger bei der Arbeit in den Werkstätten der Einrichtung.
Moderiert wird der Kurs von Christiane Hutzler. Die 47-Jährige arbeitet seit 1990 bei der Behindertenhilfe. Mit ihrem Kollegen Ralf Thomas-Rogala betreut sie die Teilnehmer. Hutzlers Kunstkurs heißt im Abrechnungskatalog der Behindertenhilfe „arbeitsbegleitende Maßnahme“. Zwei bürokratische Worte für Tränen, Angst und Hoffnung innerhalb einer Stunde pro Woche. In dieser Stunde reden sich die Teilnehmer den Kummer und Frust von der Seele. Manchmal ist es nur ein kleines Ärgernis in der Werkstatt der Behindertenhilfe, so wie bei Margot Katzenmeier (55). Aber dann sind es auch die ganz großen Themen, so wie bei Norbert Mehl (geboren 1970), der den Tod einer Angehörigen verkraften muss.
„Der Glaube hat mir geholfen“, sagt Mehl, der unter der Woche in der Schreinerei der Einrichtung arbeitet. Auch er hat einen Stuhl bemalt. Dessen Sitzfläche zeigt Wege, die in verschiedene Richtungen weisen. In der Mitte: Ein Kreuz.
„Das Motiv haben wir uns zusammen überlegt“, erzählt die Kursleiterin. Mehl habe in den Gesprächen reflektiert, dass er sein Leben mit neuem Mut und seinem Glauben annehmen möchte, sagt Hutzler.
„Die acht Kursplätze sind unter den Klienten der Einrichtung heiß begehrt“, sagt sie. Klient ist vom lateinischen Wort „cliens“ abgeleitet, es bedeutet Schützling. Hutzler sagt kein einziges Mal Behinderte oder Patienten. Die Teilnehmer sagen „du“ zu ihrer Leiterin. Sie erzählen ihr Geschichten, die manchmal heiter sind. Aber oft sind die Lebensgeschichten traurig. Manchmal fließen Tränen.
Bei allen Klienten versucht sie, die Probleme zu entdramatisieren, sagt Hutzler. Das Problem kann ein Streit unter Klienten sein, der von den Teilnehmern als unlösbar angesehen wird. Fragt die Moderatorin dann nach, was der eigentliche Anlass des Streits war, löst sich der Konflikt meistens von alleine auf. „Wichtig ist, alles ernst zu nehmen. Die Wirklichkeit des Klienten entscheidet, was ein Problem ist. Und nicht ich“, sagt sie. „Und dabei sollen die Teilnehmer das Gute im Schlechten finden.“ ...
Behindertenhilfe Bergstrasse
gemeinnützige GmbH
Darmstädter Straße 150
64625 Bensheim